Kennst du mich noch, ich bin der echte Künstler Georg Paulmichl

Zur Rezeption der Werke eines Dichters und Malers aus Südtirol, von Irene Zanol

“Kennst du mich noch, ich bin der echte Künstler Georg Paulmichl” (1)

Wer sich vor gut zehn Jahren in einer Filiale einer österreichischen Supermarkt-Kette eine Wurstsemmel kaufte, bekam sie mit großer Wahrscheinlichkeit in einem besonderen Packpapier überreicht. Die Innsbrucker Künstlerin Michaela Schweeger entwarf „poetisches Feinkostpapier“ mit Lyrik, u. a. von Joachim Ringelnatz, Eugen Roth, Rainer Maria Rilke und Georg Paulmichl. Dessen Gedicht Mond ging in „großer Auflage“ über die Wursttheken. Diese besondere Form der Rezeption unterstreicht, auf wie vielfältige Art und Weise Georg Paulmichls Texte Eingang in die Alltagswelt der Menschen finden.

Doch selbstverständlich beruht der Ruhm des „bekanntesten Paulmichl“, wie er sich selbst mit einigem Stolz (aber auch einigem Recht) bezeichnet, nicht auf Wurstpapier. Seit seinem Eintritt in die Behindertenwerkstatt 1977 arbeitet er gemeinsam mit seinem Betreuer an literarischen und bildkünstlerischen Werken. Die ersten selbst gebastelten und illustrierten Bücher stießen bald auch außerhalb der Werkstätte auf Interesse und so kam es zu ersten Gedicht-Abdrucken in Zeitschriften und 1987 zur ersten Buchpublikation, strammgefegt. Bis zum heutigen Tag sollten diesem Band fünf weitere, zumeist im Haymon Verlag veröffentlichte Bücher folgen. Der Dichter ging auf Lesereisen, stellte seine Bilder in namhaften Galerien aus und wurde für seine Texte, die mittlerweile auch schon übersetzt wurden, mit etlichen Preisen geehrt. Es wurden mehrere Filme über ihn gedreht, Radiosendungen ausgestrahlt und es kam zu szenischen Lesungen seiner Texte an verschiedenen deutschen Theatern. Kurzum: Der Dichter avancierte zum „Autogrammschreiber“, wie er es in einem Brief formuliert. (2)

All das klingt nach einem „gewöhnlichen“ oder geradezu stringenten Künstlerleben. Und dennoch ist Paulmichl alles andere als ein gewöhnlicher Akteur im Literatur- und Kunstbetrieb. In seiner Rede zur Eröffnung einer Ausstellung in Neumarkt im Südtiroler Unterland schreibt er: „Ein Künstler sein ist feiner als ein Depp. Als Künstler hat man Ruhe, Ruhe und der eigene Name wird hergezeigt. Die Leute kennen mich, bewundern mich und wissen, dass ich in dieser Welt lebe. Grüßen tut mich in Prad keiner. (3)

In diesem Satz kommt zum Ausdruck, dass eine Inklusion Georg Paulmichls in die Gesellschaft trotz aller künstlerischen Erfolge eben doch noch nicht gelungen ist. Dies (für ihn, aber auch für andere beeinträchtigte Schriftsteller) so weit wie möglich zu erreichen, wäre vermutlich die wichtigste Wirkung der Kunst Paulmichls. Dass man ihm das Etikett ‚Dichter‘ gibt, darf schließlich keineswegs nur eine „oberflächliche Aufwertung und Pseudo-Integration des ausgeschlossenen Sprechens in den kulturellen Diskurs“ (4) bedeuten. Denn etwas als Literatur zu bezeichnen, bedeutet nicht nur den Versuch, es „ästhetisch ‚begehbar‘ und konsumierbar zu machen“ (5), sondern ist zugleich auch eine Verpflichtung; nämlich die Verpflichtung, die Texte als Texte ernst zu nehmen. Für bildkünstlerische Werke gilt das in gleicher Weise.

Auch wenn die soziale Inklusion weiterhin ein Ideal bleiben muss und auch durch Literatur und Kunst nicht ohne weiteres möglich ist: Die Wirkung der Texte und Bilder erschöpft sich nicht im ökonomischen Erfolg, ist nicht nur an erzielten Verkaufspreisen und der Auflagenhöhe messbar. Sie besteht auch darin, dass der Leser/Betrachter durch seine Auseinandersetzung mit der Kunst das aus seiner Sicht vielleicht Absurde, Andere zu verstehen versucht. Dann tritt der geistig behinderte Dichter und Maler über seine Werke mit der sozialen Umwelt in Kontakt und es kommt zu einem Treffen von Menschen mit und ohne Behinderung, das außerhalb der Kunst bzw. ohne die Kunst vielleicht nie stattgefunden hätte.

Irene Zanol

(1) Georg Paulmichl: Vom Augenmaß überwältigt. Briefe, Glossen und Bilder. Innsbruck: Haymon, 2001, S. 41.
(2) vgl. ebd., S. 11.
(3) Ebd., S. 67.
(4) Gisela Steinlechner: Über die Ver-Rückung der Sprache. Analytische Studien zu den Texten Alexanders. Wien: Wilhelm Braumüller, 1989, S. 6 f.
(5) Ebd., S. 7.

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Jahr: 2012 | Wirkung: Vorwort | Personen: Zanol Irene | Orte: Innsbruck | Quelle: Brenner-Archiv Innsbruck
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